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Gießener Allgemeine vom 26.1.2022

Lieder von Schmerz und Bitterkeit

(Sacha Jouini) Beim Winterkonzert mit Sopranistin Sonja Grevenbrock und Pianistin Yona Sophia Jutzi berührte am meisten die Musik von Robert Schumann. Das Duo widmete sich Liedern zwischen Leben und Vergänglichkeit - allerdings am Klavier mit etwas wenig Feingefühl.

Winterkonzert-Besucher sind verwöhnt, hatten doch die Klaviertrios Zilia und Würzburg für einen hervorragenden Saisonauftakt gesorgt. Vom künstlerischen Niveau konnte der Liederabend mit der Sopranistin Sonja Grevenbrock und Pianistin Yona Sophia Jutzi am Montag im Hermann-Levi-Saal nur streckenweise mithalten. Das Duo widmete sich Liedern zwischen Leben und Vergänglichkeit.

Schon Johannes Brahms’ »Sommerabend« zu Beginn hinterließ einen zwiespältigen Eindruck: Zwar gefiel das feine poetische Empfinden der Sängerin, doch dominierte die Pianistin stellenweise zu stark - sie hätte den Flügel besser nur halb öffnen sollen. An sich eine gute Idee schien, das hochernste Programm durch Klavierintermezzi von Brahms aufzulockern, doch überzeugte die Pianistin auch hier nicht restlos. Vom sehnsuchtsvollen Ton knüpfte das Klavierstück op. 118 Nr. 2 an das Lied »Komm bald!« an, die nachdenklichen Züge hätten sich aber noch inspirierter zur Geltung bringen lassen können. In lauten Passagen schien Jutzis Anschlag zudem etwas grob.

Nicht nur bei Brahms, sondern auch bei Liedern von Richard Strauss und Gustav Mahler hätte die Pianistin den kompositorischen Aufbau überdies anschaulicher zeichnen und leisen Zwischentönen mehr Raum geben können. So hinterließ die Sopranistin mit ihrer ausdrucksvollen, recht deutlichen und wandlungsfähigen Stimme das stärkere Gesamtbild.

Dass Jutzi es besser kann, bewies sie bei drei Kompositionen aus Robert Schumanns »Liederkreis« nach Joseph von Eichendorff. So konnte man sich der Bitterkeit bei »In der Fremde« kaum entziehen, derart berührte die Interpretation. Inhaltlich kommen darin der leidvolle Verlust der Eltern und der Heimat zusammen. Der nahende eigene Tod mutet da fast wie eine Erlösung an. Das Duo unterstrich die einheitsstiftenden Züge und entlockte der Musik eine Fülle an Details.

Musik ergreift die Seele unmittelbar

Dem schmerzlichen Charakter spürten die Sängerin und Pianistin auch in »Wehmut« voller Fantasie nach; der fröhliche Gesang, von dem die Rede ist, erweist sich als bloße Fassade. Die Vorlage geht auf den Roman »Ahnung und Gegenwart« zurück, so auch in »Zwielicht«. Bei letzterem Lied lief einem ein kalter Schauer über den Rücken, derart eindringlich vermittelte das Duo die Naturerfahrung im dämmrigen Wald, die beklemmende Sorgen um die Geliebte sowie die Heimtücke eine Freundes wachruft und in der Warnung »Hüte dich, sei wach und munter!« gipfelt. Selten ergreift Musik so unmittelbar die Seele.

 

 

 

Gießener Anzeiger vom 26.1.2022

Die Grenzen der Instrumente ausgereizt

Herausragende Interpretationskunst: Erstes Winterkonzert der Saison im Levi-Saal

Von Heiner Schultz

Musik an der Schwelle

Ein glänzendes Frauenduo betrat mit seinem Programm im Gießener Levi-Saal die musikalisch-literarische Schwelle zwischen Leben und Vergänglichkeit.

Gießen. Einen glänzenden Eindruck machten am Montagabend beim Winterkonzert des Vereins Gießener Meisterkonzerte die Sopranistin Sonja Grevenbrock und ihre Begleiterin Yona Sophia Jutzi. Bei ihrem Liederabend im Levi-Saal interpretierten sie Werke von Brahms, Strauss, Schumann und Mahler. Ihre gleichermaßen emotionaler wie handwerklich kompetenter Auftritt gefiel den zahlreichen Besuchern ausgezeichnet.

Große Gefühle

»Vom Werden und Vergehen« hieß geradezu schicksalhaft das Motto des Abends. Und die beiden jungen Musikerinnen nahmen sich nichts weniger als »die Schwelle zwischen Leben und Vergänglichkeit« vor: die ganz großen Gefühle also. Neben den Komponisten waren bedeutende Dichter wie Joseph von Eichendorff, Hermann Hesse und Friedrich Rückert für das Programm ausgewählt worden.

Der Auftakt mit Johannes Brahms‹ »Sommerabend« op. 84 war gleich eine Überraschung. Grevenbrocks Stimme ist von seltener, reifer Lieblichkeit und zugleich unmittelbar spürbarer Kraft. Auch in »Komm bald« bezauberte sie mit intensiver, berührender Leichtigkeit: Es wurde gefühlvoll.

Zur Auflockerung - und wie sich zeigte, auch zur Präsentation der Kompetenz der jungen, in Mainz ausgebildeten Pianistin - wurde nach den Liedteilen jeweils ein instrumentales Intermezzo im Programm untergebracht. Schon bei Brahms’ Klavierstück op. 118,2 beeindruckte die mehrfache Preisträgerin verschiedener Wettbewerbe mit großer Präzision, mit der sie die große Schönheit der Musik entfaltete. Ihr Timing sorgte zugleich für inhaltliche Klarheit. Zugleich spielte sie hochemotional und zeichnete große Kontraste, zuweilen etwas überdeutlich. Im Lauf des Abends wurde dann immer klarer, dass ihr Timing die Wirkung des Klangs verstärkte - und das Publikum in den Bann schlug. Dazu trug bei, dass sich die Musikerinnen den Applaus erst zum Ende des Konzerts erbeten hatten. So wurde das Publikum nie aus dem konzentrierten Zuhören herausgerissen.

Die aus Münster in Westfalen stammende Sonja Grevenbrock setzte das Programm mit Richard Strauss’ »September« (aus den vier letzten Liedern op. 130, Text: Hermann Hesse) und sang mit enormer Grazie, intensiv und berührend. Neben großer Kraft, bei der man zunächst fast erschrecken konnte, zeigte die Stipendiatin des Richard Wagner Verbands sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ebenso feinste Nuancen und Stimmungsfarben: Diese Sängerin ruht ganz in der Musik.

Ohne Süßstoff

Drei Schumann-Lieder (»In der Fremde«, Wehmut« und »Zwielicht«) realisierte Sonja Grevenbrock fast optimal mit kraftvoller Emotion ohne Süßstoff, mithin als Genuss ohne Reue. »Beim Schlafengehen« von Richard Strauss (Hermann Hesse) sang sie gefühlvoll und zugleich natürlich. Der Ausklang geriet beiden Frauen vorzüglich - man wehte förmlich mit der Musik hinweg.

Auch Pianistin Jutzi lieferte an diesem Abend eine exzellente Leistung: Brahms‹ Klavierstück op. 119,2 etwa realisierte sie transparent und emotional, was sie gelegentlich ins zu große Volumen rutschen ließ. Den Flügel im Levi-Saal muss man für diese Musik nicht öffnen. Denn das führt zu gelegentlicher Übertönung des Gesangs in einigen Forte-Passagen. Jutzis Stärke wiederum ist die narrative Geste, und Brahms’ »Romanze« op. 118,5 präsentierte sie mit einer wunderbaren Ausgeglichenheit.

Höhepunkt des Programms war schließlich Gustav Mahlers »Ich bin der Welt abhanden gekommen« (Rückert-Lieder Nr. 3). Da entfaltet der Sopran der freischaffenden Konzertsängerin und Liedinterpretin eine große Melancholie bei bedachtsamer Umsetzung und stellenweisem Einsatz des vollen Stimmklangs. Hier zeigte sich aufs Schönste die Stärke von Grevenbrocks Interpretationsfähigkeit und Vielseitigkeit.

Die emotionale Intensität des Abends machte das Konzert dieses jungen Frauenduos insgesamt zu einem packenden, anrührenden Ereignis, an das man bei allen pandemiebedingten Einschränkungen gern zurückdenkt, besonders, wenn man sich von der Musik so wunderbar mitnehmen lassen kann. Es gab enormen Beifall des hingerissenen Publikums.