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Gießener Allgemeine vom 13.1.2023

Erlesenes Programm

Katharina und Konstantin Sellheim nehmen den Beifall entgegen. © Sascha Jouini

Beim Winterkonzert am Donnerstag im Hermann-Levi-Saal präsentierte das Duo Katharina (Klavier) und Konstantin Sellheim (Viola) erlesene, teils selten aufgeführte Werke. Komponisten, die zeitlich oder geografisch miteinander verbunden waren, hatten die Geschwister zusammengestellt.

So stammten Eduard Tubin und Arvo Pärt aus Estland, während Robert Schumann und Michail Glinka jeweils zur gleichen Zeit lebten. Eine echte Entdeckung war die Sonate für Viola und Klavier, deren Urheber Tubin (1905 bis 1982) hierzulande kaum bekannt ist. Das eröffnende »Allegro molto moderato« erwies sich mit der pulsierenden Klavierbegleitung als schicksalhaft-ernste, grotesk anmutende Musik. Das Duo konfrontierte die Hörer schonungslos mit den seelischen Abgründen. Die innere Unruhe steigerte sich im folgenden »Allegro vivace« noch - als versuche jemand, aus einer misslichen Lage auszubrechen. Recht ungewöhnlich: An den Schluss gestellt war ein Largo, das keine Erlösung brachte, vielmehr an ein schwermütiges Personenporträt erinnerte. Fließend ließ das Duo die Musik ausklingen. Der Schmerz verschwand erst in der angefügten Pastorale.

Poetische Zwischentöne

Im Gegensatz dazu stehen Robert Schumanns »Märchenbilder« op. 113 häufig auf Konzertprogrammen. Das Vermögen des Duos, den Charakterstücken poetische Zwischentöne zu entlocken und unterschiedliche Stimmungszustände zu zeichnen, beeindruckte auch hier. Ansprechend eingefangen schien etwa im Eröffnungsstück die Sehnsucht. Energisch die zweite Nummer mit der drängenden Bewegung. Wie schon beim Winterkonzert-Debüt der Geschwister vor gut neun Jahren bestach die Genauigkeit im Zusammenspiel; perfekt die klangliche Balance. Da musizierte ein Duo, das hellwach aufeinander einging und am selben Strang zog.

Bildeten die ersten drei Stücke eine musikalische Steigerung, so verströmte die letzte Nummer Gedankenversunkenheit. Mit einem Mal löste sich die Spannung. Faszinierend, welch Reichtum an Nuancen sich in der kantablen Interpretation heraushören ließ.

Äußerste Reduktion der Elemente kennzeichnete nach der Pause Arvo Pärts »Fratres«. Der Avantgardist Pärt stieß einst auf Widerstand der sowjetischen Musikkritik, ist aber heute sehr populär.

In »Fratres« entfaltet er seinen 1976 eingeführten, das Schlichte und formal Strenge vereinenden »Glöckchenstil«. In der vergeistigten Musik schienen herkömmliche Zeitmaßstäbe aufgehoben - frei von Emotionen diente sie zur Besinnung.
Füllhorn schöner Melodien

An den Schluss des hörenswerten Konzerts gestellt war Michail Glinkas unvollendete Sonate d-Moll. Die barg ein Füllhorn schöner Melodien und einen fesselnden kompositorischen Aufbau. Wunderbar fließend geriet die Darbietung. Katharina und Konstantin Sellheim gestalteten die Übergänge vorausschauend und versetzten die zahlreichen Besucher in Begeisterung. Sie verabschiedeten sich mit einem Fantasiestück von Schumann als Zugabe. Sascha Jouini

 

Gießener Anzeiger vom 13.1.202

In Töne gefasste Märchenbilder

Versetzten die Besucher in Begeisterung: Konstantin und Katharina Sellheim. Foto: Schultz © Schultz

Gießen. Einen leuchtenden Gegenakzent zum tristen Regenwetter setzte das zweite aktuelle Winterkonzert des Vereins Gießener Meisterkonzerte am Donnerstag im Levi-Saal im Rathaus mit dem Duo Sellheim. Konstantin (Viola) und Katharina (Klavier) Sellheim musizierten Werke von Schumann, Tubin, Pärt und Glinka. Das originelle, selten gespielte Programm und die überragende Aufführungsqualität versetzten die Besucher im gut besuchten Saal in wahre Begeisterung.
»Märchenbilder aus Tallinn und Moskau« lautete der Titel des Programms. Man habe das Duo vor Jahren in Riga kennengelernt, erläuterte Dieter Lindheimer vom Vorstand des Vereins. »Und da haben wir gewusst, die müssen wir haben.« Die Wertschätzung war gegenseitig und so ließ sich das Konzert nun einrichten. Die Geschwister, die schon seit ihrer Kindheit gemeinsam Musik machen, nahmen durch eine besondere, inhaltliche und handwerkliche Vertrautheit und daraus resultierende Geschlossenheit für sich ein.

Das Duo begann mit Eduard Tubins (1905-1989) Sonate für Viola und Klavier ETW 63 in drei Sätzen. Der Komponist wurde beeinflusst von Jean Sibelius, Anton Bruckner und Carl Nielsen. Das hob am Klavier etwas melancholisch an, die Viola setzte dramatische Akzente. Dann wurde es vorübergehend verträumt. Im Zweiten ein ähnlicher Beginn, das Klavier gab den Rhythmus vor, die Viola tanzte darauf, bis beide immer intensiver wurden. Die Stimmen blieben gut erkennbar, die Melancholie diente als Fundament.

Überraschend fügte das Duo Tubins Pastorale für Viola und Orgel ins Programm. Dramatische Viola, das Klavier agierte rhythmisch betont, beide musizierten flüssiger und harmonierten angenehm. Dann heftige, ans Dissonante grenzende Klavierakzente, die in ein wellenförmiges Geschehen mündeten, das in ein trippelndes Miteinander überging. Das Ganze mutete weniger intellektuell und sperrig an als die Sonate, weicher, doch nicht weniger dramatisch. Man konnte sich das gut als Musik zum Stummfilmklassiker »Metropolis« vorstellen.

Lauschte man dem ausdrucksvollen Spiel Konstantin Sellheims, einem Mitglied der Münchner Philharmoniker, dann wundert man sich, dass für dieses Instrument nicht mehr Literatur entstand. Seine Schwester Katharina gesellte sich auf gleichermaßen höchstem Niveau hinzu. So entstand ein faszinierendes Klangerlebnis von höchster Transparenz: Man nahm nur noch die Musik wahr, nicht ihr Entstehen.

Robert Schumanns Märchenbilder op. 113 in vier bildhaft verschiedenen Sätzen versetzten die Zuhörer in ein schwelgerisches Geschehen, akzentuiert von einer perfekt intonierenden Viola. Nach »Nicht schnell« folgte »lebhaft«, das Assoziationen an Waldgeister aufkommen ließ. Mit attraktiven Tempovariationen (»rasch«) ging es weiter, um »Langsam, mit melancholischem Ausdruck« zu schließen. Wunderschöne Gedanken vom Klavier, die Viola fasste Mut und es entstand ein tänzerisches Nebeneinander.

Auch Arvo Pärts (geboren 1935) »Fratres« (Brüder) in der Fassung für Viola und Klavier bot herausragende Genüsse. Ein längeres Solo steigerte sich sanft, bis eine kunstvolle Kooperation mit dem die Viola erdenden Klavier begann, akzentuiert mit zarten Pizzicati. Dann ganz große Ruhe, die Viola bewegte sich am Rande der Stille und insgesamt ein sehr harmonisches Miteinander, das nach einem mathematischen Prinzip gestaltet war.

Verschmelzen der Stimmen

Schließlich, nach immer stärker werdendem Applaus, gab es Michail Glinkas (1804-1857) Sonate d-Moll zu erleben. Von ihr existieren nur der erste und zweite Satz. Für Sellheim ist Glinka »der Vater der russischen Kunstmusik«. Das Stück hob an mit herzerwärmender Emotion und einem expressiven Klavier, begleitet von leichtfüßigen Interaktionen, die innere Bewegtheit der Stimmen zeigten. Das Zusammenwirken der beiden Stimmen beeindruckte und bewegte das Publikum.

So war es ein Abend auf höchstem Niveau. Als Zugabe gab es ein Fantasiestück von Schumann, realisiert mit warmer Intensität.