» » » Archiv » Konzerte 23/24 » Oberon Trio mit Shirley Brill | Mittwoch, 11. Oktober 2023, 19:00 Uhr » Presse

Gießener Allgemeine vom 13.10.2023

Ein musikalisches Plädoyer für den Frieden

Das Oberon Trio mit Klarinettistin Shirley Brill (r.) nimmt den verdienten Applaus entgegen. © Sascha Jouini

Gießen - Einen denkwürdigen Auftakt nahmen am Mittwoch die Winterkonzerte. Gemeinsam mit Klarinettistin Shirley Brill bot das Oberon Trio im Hermann-Levi-Saal unter anderem ein Arrangement des hymnenhaften israelischen Liedes »Jerusalem aus Gold«. Dieses menschliche Wärme verströmende 1967, kurz vor dem Sechstagekrieg geschriebene Lied ließ sich vor dem aktuellen Hintergrund des Angriffs auf Israel als Plädoyer für den Frieden deuten.

Gegen den Krieg gerichtet war auch Olivier Messiaens »Quartett für das Ende der Zeit«. Bedauerlicherweise lockte das hochrangige Konzert der wiederholt im Rathaus gastierenden Künstler nur ein überschaubares Publikum. Vielleicht schreckte das besinnlich-ernste Programm manche ab, zudem gab es Parallelveranstaltungen.

Henja Semmler (Violine) und Jonathan Aner (Klavier) eröffneten die unter dem Motto »Zeit« stehende französische Werkfolge mit dem »Nocturne« des selten zu hörenden Pariser Komponisten Reynaldo Hahn (1874 bis 1947). Nächtliche Atmosphäre verbreitend kam die Musik einem Schwelgen in Erinnerungen gleich. So schrieb Hahn zur Entstehung, wie er sich an einem Frühlingsabend auf einer Bank unter dem Mondlicht der Melodie besann. Das Spiel des Duos geriet zum Ausdruck innerster Empfindungen. Von vollendeter Schönheit und bis in höchste Höhen klar war der Violinpart, gestützt von der wohldosierten Klavierbegleitung.

Das Motto des Winterkonzert-Programms kam auch bei Gabriel Faurés Trio d-Moll op. 120 zum Tragen: Im »Allegro ma non troppo«-Kopfsatz vergegenwärtigte die ostinate Bewegung im Klavier den Zeitfluss. Das durch Cellistin Antoaneta Emanuilova ergänzte Ensemble horchte bei den Imitationen konzentriert aufeinander und reizte die farbige Harmonik aus.

Ruhiger war die Gangart beim in seiner Nachdenklichkeit berührenden »Andantino«. Dahinhuschende Figuren und energische Gesten stellten das »Allegro vivo«-Finale in Kontrast zu den beiden ersten Sätzen, die Musik wechselte von der Weltenthobenheit in diesseitige Sphären.

Messiaens »Quartett für das Ende der Zeit« zum Schluss wurde durch eine Passage aus dem 10. Kapitel der Johannes-Offenbarung inspiriert und ist vor dem Kriegsgrauen zu sehen: 1940/41 schrieb der Komponist dieses Werk für sich und drei Mitgefangene im Görlitzer Stammlager und führte es vor 5000 Häftlingen auf. Zentrale Aspekte dieser meditativen Suite sind die Schöpfung und der Ewigkeitsgedanke. Moderatorin Henja Semmler bezeichnete das Werk zu Recht als »Grenzerfahrung« für Interpreten wie Hörer.

Kompositionen gegen den Krieg

Die für Messiaen typische vogelstimmenartige Motivik in Violine und Klarinette bestimmte das Gefüge im ersten Satz, hinzu kamen Klavierakkorde und fahle Cellotöne. In der in sich kreisenden Musik schien die Zeit aufgehoben. Demgegenüber stand der klanglich vehemente Beginn des zweiten Satzes, dem ein zarter Zwiegesang von Violine und Cello folgte.

Besonders nahe ging das subtile Klarinettensolo im »Abgrund der Vögel«. Aus dem Nichts kommende Pianissimi steigerten sich stetig und mündeten in Passagen mit spielerischer Motivik.

Das Quartett forderte den Hörern ab, sich auf den vergeistigten Charakter einzulassen. Wer diese Bereitschaft mitbrachte, konnte tief in kontemplative Dimensionen eintauchen.

Fast überbordend an kompositorischen Einfällen schien der abwechslungsreiche siebte Satz, bis das Werk mit der »Lobpreisung der Unsterblichkeit Jesus« unendlich klar und rein ausklang. Sascha Jouini

 

 

Gießener Anzeiger vom 13.10.2023

Sinnlich, machtvoll, aufwühlend

Das Oberon Trio mit Gast-Klarinettistin Shirley Brill servierte seinem Publikum zum Auftakt im Hermann-Levi-Saal ein musikalisches Festmahl..

Gießen . Ein musikalisches Festmahl servierte das Oberon Trio mit Gast-Klarinettistin Shirley Brill seinem Publikum zum Auftakt der Winterkonzert-Saison im Hermann-Levi-Saal. Das renommierte Ensemble, nicht zum ersten Mal in der Stadt zu Gast, bot auf Einladung des Vereins Gießener Meisterkonzerte ein Repertoire mit Werken der französischen Komponisten Hahn, Fauré und Messiaen und ließ die Musik strahlen, schwelgen und durchaus auch zuschlagen. Die herausragende Leistung und das Engagement der Musiker sorgte für ein hingerissenes Publikum.

»Ein unglaublich sinnliches Stück« nannte Pianist Jonathan Aner vorab Reynaldo Hahns Nocturne für Violine und Klavier und wies auf das Miteinander von »Texturen, Gefühlen und Tonarten« hin, das der französische Komponist geschaffen hatte. Mit souveräner Konzentration ging Violinistin Henja Semmler das Werk intensiv und mit sanfter, doch intensiver Emotionalität an. Sie musizierte lieblich und mit himmlischer Mühelosigkeit, von Aner mit warmer Feinfühligkeit begleitet. Stets agierte sie mit eindrucksvoller Sicherheit - in seiner komplexen Geschlossenheit war das schon ein erstes Glanzlicht.

Gabriel Faurés Trio op. 120 in drei Sätzen wurde erst stürmisch und dann nachlassend intensiv begonnen. Pianist Aner, Semmler und Antoaneta Emanuilova schufen einen vollen Klang. Der ging in ein friedvolles Miteinander über, kurzzeitig etwas unentschlossen wirkend. Der essenzielle Eindruck war allerdings der einer superben Klarheit des Zusammenspiels. Schmachtende Melancholie prägte den zweiten Satz. Zugleich hielten die Stimmen eine große Spannung und stellten differenzierte Emotionalität dar. Erneut wurde es intensiv drängend, mit schöner Melodik. Im dritten Satz verstärkte sich die Position der Streicher gegenüber dem Klavier: dramatische Akkorde, abwechslungsreich, fast unruhig, ein lebhafter, steter Fluss; am Ende fast schlagerhaft. Aufgrund der dramatischen aktuellen Lage in Israel fügte Jonathan Aner einen besonderen Titel hinzu, »Jerusalem of Gold«. Eine melancholische Weise, getragen musiziert, fast besinnlich.

Für den zweiten Teil hatte sich das Ensemble eine große Aufgabe gestellt: Olivier Messiaens »Quatuor pur la fin du temps« in acht Sätzen. Henja Semmler umriss in ihrer Moderation den ungewöhnlichen Charakter des Titels. Der Komponist habe drastische Mittel eingesetzt: »ungewöhnliche Rhythmen, immer unregelmäßig, oft Vogelstimmen«, die nach Fauré das Gegenteil der Zeit darstellten. »Es ist eine Grenzerfahrung«, sagte Semmler und betonte damit indirekt auch die Erlebnisebene der Musiker. Es nahm in der Realisierung dann zeitweise den Charakter einer Endzeitvision an, machtvoll und aufwühlend.

Das Stück begann mit einer quirligen Vielfalt von Vogelstimmen, mit zahlreichen Glissandi und sonstigen selten gehörten Elementen. Thema war das »Ende der Zeit«: mächtige Klavierakkorde akzentuierten das Geschehen, hochdramatisch bei zugleich melancholisch-sinnlicher Stimmung mit insistierenden Streichern, ein Wirrwar der Gefühle. In dieser Tonwelt klangen die Instrumente nicht mehr durchgehend so, wie man sie kennt.

Die israelische Klarinettistin Shirley Brill bestach nicht nur in »Abîme des oiseaux« mit einer überragenden Leistung. Ihr klarer Ton und ihre Modulation beeindruckten, ihre Vogellaute gerieten ebenso natürlich wie dramatisch. Besonders eindrucksvoll, wie sie den Klang ihres Instruments mehrfach aus vollkommener Stille in die Wahrnehmung gleichsam hineinwachsen ließ.

Famos war auch die Stabilität, in der das Quartett die komplexe, aufregende und aufgeregte Komposition mit kristallener Transparenz realisierte, rundum eine Meisterleistung und ein hinreißender Konzertabend.