» » » Archiv » Konzerte 23/24 » Aleksandra Grychtolik und Alexander Grychtolik | Samstag, 25. November 2023, 19:00 Uhr » Presse

Gießener Allgemeine vom 26.11.2023

Virtueller Besuch im Kaffeehaus

Aleksandra und Alexander Grychtolik nehmen den verdienten Applaus entgegen. © Sascha Jouini

Gießen (jou). Beim jüngsten Winterkonzert nahm das deutsch-polnische Musikerpaar Aleksandra und Alexander Grychtolik mit auf eine Zeitreise rund 290 Jahre zurück ins Zimmermannsche Kaffeehaus zu Leipzig. Auf zwei Cembali widmete sich das Duo im Hermann-Levi-Saal anspruchsvollen Kompositionen und Improvisationen.

Alexander Grychtolik stellte heraus, dass damals in dieser Sphäre Musik für das Bürgertum dargeboten wurde, die zuvor Adligen vorbehalten war. Basierend auf Bauplänen hat das Duo den Konzertsaal samt Kaffeestuben rekonstruiert. Johann Sebastian Bach brachte dort weltliche Kantaten und Instrumentalwerke zur Aufführung. Die Leinwandprojektion der Bilder trug zur reizvollen Begegnung mit der barocken Musikkultur bei.

Vier Duette Wq 115 von Bachs zweitältestem Sohn Carl Philipp Emanuel markierten den Auftakt. Von den ersten Takten an begeisterte das filigrane, detailreich artikulierte Spiel auf Nachbauten zweimanualiger Modelle des flämischen Cembalobauers Johannes Ducken. Die flexible Tempogestaltung steigerte die Lebhaftigkeit. So kosteten die Künstler in der zweiten Nummer, einem Adagio, Verzögerungen aus und spielten genau koordiniert. Da offenbarte sich ihr eingehendes Studium der historischen Aufführungspraxis, für die Carl Philipp Emanuel Bachs Lehrwerk »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen« eine wichtige Quelle liefert.
Verstärkt durch die Animation des Kaffeehauses konnte man immer tiefer in die barocke Musikwelt eintauchen. Auch italienische Kompositionen wurden dort aufgeführt. Dazu könnte die Sinfonia aus Antonio Vivaldis Oper »Ottone in villa« gezählt haben. Darin bezauberte die finessenreiche Virtuosität. Aus einfachem Material wie Dreiklangsbrechungen und in sich kreisenden Figurationen entwickelt Vivaldi ungemein spannende Musik.

Ins Staunen brachte einen auch die Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs »Brandenburgischem Konzert« Nr. 4. So spielte das Duo bis in die Feinheiten der Phrasierung und Agogik ausgeklügelt und berührte durch Warmherzigkeit. Trotz des im ersten Satz recht zügigen Tempos mutete der Vortrag nie gehetzt an.

Bei der Sonate A-Dur des jüngsten Bach-Sohnes Johann Christian rissen die kühnen Wechsel im Bewegungscharakter sowie die auf den Punkt gebrachten Affekte mit. Da spürte man die Vertrautheit des seit vielen Jahren gemeinsam konzertierenden Duos.

Dargeboten von Aleksandra Grychtolik leitete die freie, aus dem Augenblick geborene Fantasia fis-Moll Wq 67 von Carl Philipp Emanuel Bach den letzten Programmblock ein. Gekonnt stellte die Cembalistin Spontaneität verströmende und besinnlich-ruhige Momente in Kontrast. Ein ausgezeichnetes Konzert. FOTO: JOU